Trittsichere Islandpferde: Der Einfluss von Haltung und wie du sie trainierst

Pferd trainiert seine Trittsicherheit

Unsere Islandpferde gelten gemeinhin als kuschelig, robust und trittsicher. Letzteres müssen die Pferde von der Insel aus Feuer und Eis auch sein, schließlich laufen sie dort über Geröll und Gestein und tragen dabei sogar häufig reitunerfahrene Touristen auf dem Rücken. Doch was auf Island so selbstverständlich scheint, ist für viele Pferdebesitzer im heimischen Stall mit dem eigenen Isi absolut undenkbar.

Autorin: Karolina Kardel, 360 Grad Pferd

Warum ist es so? Warum sind die Isländer auf Island so viel trittsicherer als unsere deutschen Islandpferde? Beziehungsweise sind sie das überhaupt? Dieser Frage wollen wir in diesem Beitrag auf den Grund gehen und euch Gründe aufzeigen, woran es liegen könnte, dass eure Isis möglicherweise weniger trittsicher sind als die Pferde auf Island.

Laufen auf unebenen Böden: „Mein Pferd kann das nicht“

Grundsätzlich ist jedes (Island-)Pferd trittsicher und dafür gemacht, auf unebenen Böden, über Stock, Stein und Geröll, bergauf und bergab zu laufen. Wenn ein Pferd dies nicht könnte, wäre es ziemlich schlecht für das Überleben des Pferdes – immerhin ist es ein Fluchttier und muss in jeder Situation in der Lage sein, vor Angreifern zu fliehen.

Lesetipp: In unserer Artikel über sportsfreundliches Pferdetraining erzählen wir mehr über die Bedeutung des Fluchtinstinktes für das Training

Die Veranlagung für die Trittsicherheit ist also da. Dennoch gibt es ganz viele Pferdebesitzer, die sagen: „Das ist ja schön und gut – aber mein Pferd kann das nicht. Und es ist ja auch viel zu gefährlich.“

Hier stellt sich die Frage: Warum kann das Pferd das nicht, wenn sein Körper doch eigentlich genau dafür gemacht ist? Und wenn sein Körper dafür gemacht ist, dürfte es doch eigentlich auch nicht gefährlich sein.

Die Antwort: Weil wir Menschen dafür sorgen, dass es unser Pferd nicht mehr kann.
Ein Pferd, das auf einem planen Paddock mit Betonboden und Paddockplatten oder möglicherweise sogar in einer Paddockbox mit noch weniger Bewegungsreizen lebt und das darüber hinaus die meiste Zeit auf der plangezogenen Ovalbahn geritten wird, verlernt mit der Zeit, sicher und ausbalanciert auf unebenen Böden zu laufen und stolpert über jede Wurzel im Wald. Für so ein Pferd können unebene Böden gefährlich werden.

Trittsicherheit erfordert eine gute Körperwahrnehmung vom Pferd

Wenn ein Pferd Probleme hat, über Stock und Stein zu laufen, hat es häufig auch eine schlechte Körperwahrnehmung. Denn je besser ein Pferd seinen Körper wahrnehmen kann, desto sicherer und balancierter kann es ihn einsetzen.

Die Kommunikation des Pferdes mit der Umwelt erfolgt über die Sinne. Das Pferd verfügt neben den Sinnen Hören, Riechen, Sehen und Schmecken über drei weitere Sinne, die sogenannten Basissinne: das taktile System (Tastsinn), das propriozeptive System (Eigenwahrnehmung) und das vestibuläre System (Gleichgewichtssinn). Die drei Basissinne sind maßgeblich für die Körperwahrnehmung verantwortlich und registrieren neben Reizen wie Berührung, Wärme und Kälte vor allem auch Reize, die die Bewegung des Körpers betreffen: Muskellänge, Muskelspannung, Hautdehnung beim Beugen eines Gelenks, die Veränderung des Körperschwerpunktes, Beschleunigung, usw.

Die wahrgenommenen Reize werden im Zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) des Pferdes verarbeitet. Sie sorgen dafür, dass das Pferd ein Bild seines Körpers hat, dass es weiß, wie sich der Körper im Raum befindet, welche Position welches Bein hat usw. Und es weiß aufgrund der Reizverarbeitung, was es tun muss, um in dieser Position stabil und ausbalanciert zu bleiben – denn Balance ist stets das größte Ziel des Gehirns. Das Zentrale Nervensystem erteilt aufgrund der vorhandenen Informationen Befehle an die Muskeln, die daraufhin mit exakten Anspannung und dadurch mit einer Zielbewegung reagieren.

Gehirn und Körper gehören untrennbar zusammen. Ihr könnt euch die Verknüpfung des Gehirns mit den Sinneszellen und den Muskeln als Wegenetz vorstellen. Je häufiger ein Weg genutzt wird, desto breiter wird er. Er entwickelt sich also vom Trampelpfad zur Autobahn. Umgekehrt wird die Autobahn – oder sagen wir mal die Landstraße – zum Trampelpfad, wenn sie wenig genutzt wird. Je mehr Reize eure Pferde verarbeiten müssen, desto breiter werden die Wege und desto schneller und besser funktioniert die Reizverarbeitung.

Der Prozess Reizwahrnehmung, Reizverarbeitung und (motorische) Reaktion kann nicht willentlich kontrolliert werden, sondern erfolgt unbewusst. Ein klassisches Beispiel: Euer Pferd stolpert und reagiert mit einem entsprechenden Schritt, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Besonders viele Propriozeptoren befinden sich in der tiefen Muskulatur entlang der Wirbelsäule und der Gelenke. Die Tiefenmuskulatur ist die Haltemuskulatur, die einerseits für Stabilität sorgt und andererseits für die Feinmotorik verantwortlich ist.

Die Bewegungskontrolle mittels der Propriozeptoren stellen eine wichtige Schutzfunktion für den Pferdekörper und die einzelnen Gelenke dar. Werden zu wenig Informationen an das Gehirn geleitet, funktioniert diese Schutzfunktion nicht mehr optimal.

Unebene Böden und die Angst vor kaputten Pferdebeinen

Viele Pferdebesitzer haben Angst, dass die Pferdebeine kaputt gehen, wenn ihr Pferd über unebene Böden, Huckepisten und über Stock und Stein laufen soll.

Diese Angst kann durchaus berechtigt sein, wenn eure Pferde beispielsweise nach einer längeren Stehzeit in der Box wieder ins Training genommen werden. Das Stehen und der Bewegungsmangel haben dafür gesorgt, dass die Propriozeptoren in einen Dornröschenschlaf gefallen sind und erst wieder aktiviert und trainiert werden müssen. Die Aktivierung der Propriozeptoren muss auch unbedingt zuerst erfolgen und noch ehe das muskuläre Aufbautraining startet. Denn nur dann funktionieren die Steuerung und das Zusammenspiel der Muskeln optimal, die Pferde werden trittsicher und die Pferdebeine halten auch Unebenheiten auf dem Boden aus, ohne kaputt zu gehen.

Lasst uns hierfür nochmal einen kurzen Blick auf das Innere des Pferdebeines werfen: In den Gelenkkapseln befinden sich wahnsinnig viele Propriozeptoren. Diese vermitteln dem Zentralen Nervensystem die Stellung der Gelenke und das Gehirn übermittelt den betreffenden Muskeln entsprechende Befehle, um das Gelenk entsprechend der Gelenkstellung zu stabilisieren.

Das bedeutet: Je mehr vielfältiger die Gelenkbewegungen sind – und unebene Böden erfordern zahlreiche Gelenkbewegungen – desto mehr Reize werden wahrgenommen. Und je vielfältiger die Informationen sind, die das Gehirn hat, desto besser kann es die richtige Muskelaktivität befehlen, die für die Stabilisierung der Gelenke sorgt. Und dies ist insbesondere deswegen so bedeutend, weil das Pferd unterhalb des Karpalgelenks am Vorderbein und unterhalb des Sprunggelenks am Hinterbein keine Muskeln hat. Die Muskeln, die die Gelenke bewegen (Muskeln sind mit Sehnen an Knochen befestigt und mindestens zwei zusammengesetzte Knochen bilden ein Gelenk), befinden sich oberhalb von Sprung- und Karpalgelenk. Dies ist auch der Grund, warum die Pferdebeine so anfällig für Verletzungen sind.

Die unebenen Böden machen die Pferdebeine also nicht kaputt, sie stabilisieren sie vielmehr. Allerdings, und das ist in dem Zusammenhang wichtig, muss der Pferdekörper das Laufen auf unebenen Böden erst lernen. Das heißt, die vielen, vielen Propriozeptoren müssen aktiviert werden. Dies geschieht – genau – durch das Laufen über unebene Böden und unterschiedliche Untergründe. Schnappt euch also eure Pferde und lauft regelmäßig durch den Wald, über Stock und Stein, bergauf und bergrunter.

Und falls ihr noch immer unsicher seid, ob das wirklich sicher ist für eure Pferde, wollen wir einen kurzen Exkurs in den Humanbereich machen: Beim propriozeptiven Training spielen unsere Füße eine wichtige Rolle. Es gibt einen Lehrsatz, der lautet: „Die Haltung beginnt bei den Füßen“. Hier wird das Prinzip verfolgt: Die Aktivierung der Fußmuskulatur gewährleistet die Sicherung der Gelenkachsen. Natürlich lassen sich unsere Füße nicht 1:1 mit denen unserer Pferde vergleichen – wobei, ein wenig schon, wären wir ein Pferd, würden wir auf Finger- und Zehenspitzen laufen. Dennoch spielt auch beim Pferd die Haltungskontrolle der Huf- und Beingelenke eine bedeutende Rolle im Zusammenhang mit Körperwahrnehmung, Körperhaltung und Trittsicherheit.

Muskelverspannungen verringern die Trittsicherheit

Auch muskuläre Verspannungen können die Trittsicherheit verschlechtern. Zum einen schränken feste, verspannte Muskeln die Bewegungsmöglichkeit ein – schließlich muss sich ein Muskel entspannt dehnen lassen, damit Bewegung stattfinden kann – zum anderen verringern Verspannungen die Körperwahrnehmung, weil Muskeltonus und Muskellänge weniger variieren.
Stolpert ein Pferd viel, kann es möglicherweise an einer festen Unterhalsmuskulatur oder einer verspannten Brustmuskulatur liegen. Auch Muskeln im Bereich der Sattellage, beispielsweise der breite Rückenmuskel M. lattisimus dorsi, sind an der Bewegung der Vordergliedmaßen beteiligt. Ist dieser Muskel verspannt, kann das gleichseitige Vorderbein nicht adäquat nach vorne geführt werden.

Die Trittsicherheit verbessern: So geht’s!

Neben dem Lösen möglicher muskulärer Verspannungen heißt das Zauberwort zur Verbesserung der Trittsicherheit: Sensomotorik. Klingt komplizierter, als es ist. Denn im Grunde geht es nur darum, dem Pferd möglichst viele unterschiedliche (Bewegungs-)Reize zu bieten, auf die der Körper mit Muskelarbeit reagiert.

Die beste Möglichkeit, Propriozeption und Trittsicherheit zu verbessern, ist das Laufen auf vielen unterschiedlichen Untergründen wie Sand, Stein, Gras, Waldboden, Kies, Schotter usw., bergauf und bergab und über Stock und Stein – also typisch isländisch. Schnappt euch also euer Pferd und macht euch auf zu Spaziergängen durch den Wald und querfeldein. Warum zu Fuß? Weil ihr eurem Pferd so die Chance gibt, seinen Körper so einzusetzen, wie es ihn einsetzen muss. Wir Reiter neigen nämlich aus Angst vor Unfällen häufig dazu, unser Pferd in seiner Bewegung einzuschränken, indem wir die Zügel kurz nehmen usw.

Neben diesen cross country-Spaziergängen kann auch Koordinationstraining wunderbar dabei helfen, die Trittsicherheit zu verbessern. Beim Koordinationstraining müssen eure Pferde ihren Körper nämlich ganz gezielt einsetzen.

Die Koordination wird verbessert durch:

  • jede Form von Stangentraining
  • häufige Tempounterschiede und Übergänge
  • häufige (und spontane) Richtungswechsel, auch seitwärts und rückwärts und viele Bahnfiguren kombiniert
  • langsame, gezielte Bewegungen (zum Beispiel soll das Pferd ein Bein vorsetzen, Pause, nächstes Bein vorsetzen, Pause, usw.)
  • Training mit Balance Pads

Tipp: Idealweise wird an der Koordination vom Boden aus und im Schritt gearbeitet – Schritt reagiert am besten auf propriozeptiven Input und ohne Reiter kann sich das Pferd allein auf seinen Körper und seine Körperbewegung konzentrieren und wird nicht durch das zusätzliche Gewicht auf dem Rücken aus der Balance gebracht.

Weitere abwechslungsreiche Übungen, die die Koordination und das Körpergefühl des Pferdes verbessern, findet ihr außerdem in unserem Beitrag Pferdetraining im Winter.

Weitere Ideen findet ihr außerdem auf dem Blog unserer Autorin Karolina, die nicht nur schreibt, sondern als Pferdeergotherapeutin auch Pferden mit schlechter Körperwahrnehmung hilft.
Außerdem hat Veronika noch einen Extra-Tipp: „Ich longiere unheimlich gern auf der Wiese auf unserer Ovalbahn, weil die Wiese so krumm und buckelig ist. Ich lasse mein Pferd dort über die ausgetretenen Kanten laufen, longiere über die Kante von befestigter Bahn und Wiese und variiere dabei die Größe der Kreise. Ich find es wirklich super, es macht Spaß und ich finde, dass muss mein Pferd schaffen.“

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